Viele Wege führen… aus dem Fachkräftemangel
Es ist an der Zeit, alle Optionen zu nutzen
So eindringlich haben Wissenschaftler die negativen Folgen des Fachkräftemangels für die deutsche Wirtschaft bisher selten beschrieben. Das Research-Team der staatlichen Förderbank KfW spricht von einer „Zeitenwende“, vor der die Bundesrepublik aktuell stehe. „Die Ära des gesicherten Wachstums ist vorbei“, heißt es in der aktuellen Studie der Bank.
Der demografische Wandel entzieht dem Arbeitsmarkt die dringend benötigten Fachkräfte. Von 2020 bis 2035 schrumpft die Bevölkerung im erwerbstätigen Alter um 8,5 Millionen, gleichzeitig verringert sich die Gesamtbevölkerung.
Weniger Menschen, die arbeiten können und gleichzeitig mehr, die von ihnen versorgt werden müssen. Die Lücke wird seit Jahren größer und eine Wende ist nicht in Sicht.
Gleichzeitig steigt die Arbeitsproduktivität des Einzelnen nur gering und damit nicht stark genug an, um das sich ändernde Verhältnis von Erwerbstätigen und Gesamtbevölkerung auszugleichen. Steigt die Arbeitsproduktivität weiterhin innerhalb von rund zehn Jahren um lediglich 0,3 % je Erwerbstätigem, wird das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf durch den demografischen Wandel um 11% sinken. Die Experten der Kfw warnen: Werde diese Entwicklung nicht gestoppt, so „tritt Deutschland noch in diesem Jahrzehnt in eine Ära anhaltend stagnierenden, womöglich schleichend schrumpfenden Wohlstands ein“.
Arbeitsproduktivität drastisch erhöhen?
Eine im KfW-Bericht genannte Möglichkeit, um den Wohlstand in Deutschland trotz demografischen Wandels zu sichern, ist das Erhöhen der Arbeitsproduktivität. Sie müsste pro Jahr um 1,0 % je Arbeitskraft steigen.
Das müsste doch möglich sein, oder? Aber was sich erst einmal wenig anhört, ist eine große Herausforderung. Denn seit 2012 hat sich die Arbeitsproduktivität je erwerbstätiger Person nur um 0,3 % erhöht. Das nötige Produktivitätswachstum von einem Prozent könnte laut den Analysten durch Automatisierung, effizientere Arbeitsabläufe, verbesserte Rahmenbedingungen für Sach- und Humankapital und für Innovationen sowie durch eine Ausweitung der geleisteten Arbeitsstunden eventuell erreicht werden. Das steht im Widerspruch zu den (sehr aktuellen) Forderungen und Studien für eine Reduzierung der Arbeitszeit, z.B. die 4-Tage Woche oder 32h-Woche.
Wir ergänzen nachfolgend die angedachten Lösungen in der Studie, verraten aber jetzt schon, dass es nicht DIE Lösung gibt. Im Gegenteil es gibt VIELE Lösungen, die zum Ziel führen können.
Fachkräfte aus dem Ausland
Als eine der Lösungen sieht die Studie das Thema Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland. Will man allerdings den Fachkräftemangel nur durch die Einreise ausländischer Talente ausgleichen, müssten ab Mitte des Jahrzehnts sogar 1,3 Millionen Fachkräfte pro Jahr für den deutschen Arbeitsmarkt verfügbar sein. Bereinigt man diese Hochrechnung um die kritsichen Faktoren wie mangelnde Deutschkenntnisse und nicht direkt anerkannte Abschlüsse, müssten jährlich 1,8 Millionen Talente aus dem Ausland einreisen. Dazu kommen die bürokratischen Hürden zur Beschäftigung eines neuen Mitarbeiters aus eine Drittland, die hoch sind und für Mittelständler eher abschreckend.
Nun gut, ein Weg aus dem Fachkräftemangel sicherlich relevant, aber als alleinige Lösung unzureichend, führen doch mehrere Wege zu mehr Fachkräften. Eine Kombination sollte sich jedes Unternehmen überlegen und daraus eine nachhaltige und synergetische Personalstrategie ableiten. Betrachtet man Mitarbeitende vom ersten Kontakt bis zur Verabschiedung am letzten Tag, ergeben sich viele Ansatzpunkte, von denen wir gern einige konkret nennen.
Mitarbeitende finden
Recruiting ist vielschichtiger geworden – die klassische Stellenanzeige hat unserer Erfahrung nach ausgedient. Die Suche nach dem neuen Job hat sich verändert. Potentielle Jobsuchende wählen ihre Stellen nicht nur über die klassischen Jobportale aus. Sie informieren sich genauso in den sozialen Medien und auf der Website des Unternehmens. Der Gesamteindruck zählt, die Unternehmenskultur, Bewertungen auf Arbeitgeberportalen und natürlich die Benefits, die geboten werden, sind wichtige Entscheidungskriterien.
Im Recruitingprozess lassen sich viele Fallstricke leicht vermeiden, nimmt man die Sicht des Bewerbers ein und durchläuft den Prozess unvoreingenommen. Dabei ist ein Dritter, der die Schritte nicht bereits in- und auswendig kennt, hilfreich. Fragen Sie jemanden im Unternehmen, der noch nicht betriebsblind ist. Selbstverständlichkeiten für Personalverantwortliche, können für potentielle Kandidaten im besten Fall Stolpersteine und im schlechtesten Fall K.O.-Kriterien sein, die sie von einer Bewerbung abhalten.
An welchen Stellen läuft es noch nicht rund in Ihrem Bewerbungsprozess?
Interessierte Bewerber brechen aus verschiedensten Gründe ihren Bewerbungsvorgang ab oder starten diesen erst gar nicht. Viele der häufigsten Gründe sind leicht zu vermeiden.
- Umständliches Bewerbungsverfahren (z.B. kein CV-Parsing)
- Zu langsame Reaktionszeit einschließlich fehlender Eingangsbestätigung
- Unsympathische Ansprache oder kurzfristige Terminabsagen
- Karriere-Seite und/oder Stellenanzeige nicht ansprechend
- Keine mobile Bewerbung via Smartphone möglich
Aus unserer jahrenlangen Praxis möchten wir noch auf weitere wichtige Faktoren, mit großem Einfluß auf eine erfolgreiche Ansprache von Kandidaten, hinweisen:
Zeigen Sie Ihre Benefits
Sicherlich machen Sie das schon. Aber wir sprechen nicht von Selbstverständlichkeiten wie leistungsgerechte Vergütung, ein dynamisches Team oder den Obstkorb. Bestimmt gibt es in Ihrem Unternehmen besondere Benefits, die man erstmal nicht erwartet. Lassen Sie diese nicht einfach unter den Tisch fallen, fragen Sie Mitarbeitende und beginnen Sie mit einer Liste, die Sie immer weiter ergänzen. Gibt es aber tatsächlich nicht viel auf dieser Liste, dann wäre spätestens jetzt der richtige Zeitpunkt darüber strategisch nachzudenken.
Nennen Sie einen Ansprechpartner
In Gesprächen mit Kandidaten beobachten wir immer wieder, dass es Bewerber stört, wenn kein Ansprechpartner genannt wird. Sie befürchten, dass ihre Bewerbung im digitalen Nirwana verschwindet. Nennen Sie einen Namen, zeigen Sie den Ansprechpartner gern mit Foto und direkten Kontaktdaten. Vielleicht richten Sie eine separate Email-Adresse ein und aktivieren gleich eine automatische Sendungsbestätigung.
Sprechen Sie gezielt Frauen an
Um den Fachkräftemangel durch die Erhöhung einer inländischen Erwerbsbeteiligung auszugleichen, müssten 89 % der Menschen zwischen 15 und 64 Jahren arbeiten, es sind aber nur 79%. Ergo – gewinnen Sie mehr Frauen für Ihre offenen Positionen. Ihre Erwerbsquote liegt derzeit unter der der Männer (74%), zudem arbeiten 49% der Frauen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren in Teilzeit.
Hier kann ein Angebot zur Kinderbetreuung oder zumindest eine Unterstützung hilfreich sein. Viele Frauen gehen in Teilzeit, weil die Kinderbetreuung für eine Vollzeitstelle nicht gesichert ist und/oder sich der Zuverdienst durch die hohen Kosten nicht lohnt.
Für Ihr Recruitingmaßnahmen ist es entscheidend, auf die gezielte Ansprache von weiblichen Fach- und Führungskräften zu achten. Allein schon über die Wortwahl, die Auswahl der Fotos und die Darstellung der Benefits können Sie gezielt Frauen gewinnen. Ausführlicher gehen wir in unserem Blogbeitrag auf dieses Thema ein.
Hören Sie mit der Suche nicht bei 50 auf
Neben Frauen könnten ältere Menschen (über 65 Jahren) stärker in den Arbeitsmarkt einbezogen werden bzw. länger im Unternehmen gehalten werden. Derzeit liegt die Erwerbsquote von 65+ bei 8%, bis 2035 müsste sie auf 27% steigen, wollte man nur damit den demografisch bedingten Rückgang der Erwerbstätigen ausgleichen. Das ist wenig realistisch. Dafür müssten sowohl unternehmerische und politische Anreize geschaffen werden, als auch der gesellschaftliche Stellenwert von Arbeit und Alter verbessert werden. Dies und auch die Rente ab 67 können die Lücke nicht schließen, sind aber ein Teil der Personalstrategie. Nehmen Sie Abschied vom stereotypen Mitarbeiterbild (jung, leistungsfähig, anspruchslos), damit kommen Sie in Zeiten von GenZ und Fachkräftemangel nicht weit.
Mitarbeitende binden
Wir bei CONSIGEN würden es auf eine einfache Formel bringen: Retention Management in Kombination mit Age Management! So könnte man eine zielführende Kombination in der Personalentwicklung nennen.
Retention Management als aktive Maßnahme zur Mitarabeiterbindung ist keine (alleinige) Frage von Gehalt oder Position. Die emotionale Bindung zum Arbeitgeber muss hoch genug sein, um Mitarbeiter langfristig an ein Unternehmen zu binden. Lt. GALLUP Studie ist dies aber in Deutschland nicht der Fall.
Sich Mitarbeiterzufriedenheit ganz oben auf die Agenda zu setzen, halten wir für ausgesprochen wichtig und gleichzeitig zielführend. Denn es sind einfache Maßnahmen, die zu mehr Produktivität, besserer Zufriedenheit und einer erhöhten Motivation führen. Der Schlüsssel liegt hier, wie bei allen Maßnahmen zur Mitarbeiterfindung und -bindung, in einem wertschätzenden Umgang, aufeinander aufbauende systematische Maßnahmen und der Gestaltung einer Arbeitgebermarke mit hoher Strahlkraft.
Mitarbeitende verabschieden
Der letzte Kontaktpunkt mit einem Mitarbeitenden sollte in einem internen Trennungsmanagement klar geregelt werden. Denn wenn sich ein Mitarbeiter vom Unternehmen trennt (freiwillig oder unfreiwillig), hat dies vielfältige Effekte an verschiedenen Stellen. Diese können positiv oder negativ sein. Und nur im Falle eines konstruktiven, strukturierten Trennungsmanagements ist überhaupt Einfluss möglich.
Unser Fazit
Wir sind nicht hilflos dem demographischen Wandel, dem Verlust von Wachstum und Wohlstand und der sich wandelnden Arbeitswelt ausgeliefert, liebe Personalverantwortliche und Unternehmenslenker. Es fordert vielmehr den Willen zum Neudenken oder Umdenken und die Bereitstellung entsprechender Ressourcen, um diese Themen anzugehen – mit einer Personalplanung und -entwicklung, die den Mitarbeitenden als Wert-vollen Teil des Unternehmens sieht und fördert.
Quellen und Weiterlesen
Blogbeitrag: Wie Sie mit Hilfe eines Talent Pools aussichtsreiche Kandidaten schneller finden und aktiv ansprechen können.
KfW Research, Fokus Volkswirtschaft vom 23.01.2023
Studie als PDF
Beitrag zur Studie
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern auf dieser Website die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
Anthony Steffan
6. Juni 2024 von 22:57
Ich teile Ihre Ansicht nicht (ganz), dass die klassische Stellenanzeige ausgedient hat. Ja, sie hat ausgedient, wenn sie lieblos gemacht ist und nur Forderungen an den zukünftigen Mitarbeiter stellt und kein Gefühl vermittelt, was man als Mensch von diesem Unternehmen und seinen zukünftigen Kollegen erwarten darf.
Wenn Inserate allerdings authentisch und emotional formuliert sind und Bewerber wirklich abholen, dann funktionieren sie hervorragend. Die nächste Hürde ist dann die Personalabteilung. Die Reaktionen und Reaktionszeiten sind aus Sicht vieler Bewerber eher verbesserungsbedürftig … Wer jedoch schnell, interessiert und menschlich sowie entscheidungsfreudig ist, der kann tolle Mitarbeiter für sein Unternehmen gewinnen. Das ist zumindest meine Erfahrung. Natürlich benötigen wir in den nächsten Jahren auch zusätzliche Ansätze, um den ansteigenden Bedarf an Personal zu decken.